Musil in China
Univ.-Prof. Dr. Raoul Findeisen (Bratislava/Bochum): Musil in China
Jahrzehntelang war Musil in China eine Legende der klassischen Moderne. Erst 1997 wurden zwei Stücke aus den Drei Frauen übersetzt, die ihn zu einem Geheimtip machte und einige Germanisten ermutigte, sich eingehender mit ihm zu beschäftigen. Das bereitete den Boden für eine 2000 erschienene, bis heute kontrovers diskutierte Übersetzung des Mannes ohne Eigenschaften, die ein Strohfeuer von ‘Musil-Fieber’ entfachte und eine Welle inzwischen längst verschwundener Blog-Tagebücher von “Männern” und “Frauen ohne Eigneschaften” nach sich zog, aber auch den Werktitel in der chinesischen Sprache als geflügeltes Wort etablierte.
Die früheste bisher bekannte Darstellung von Musil in China findet sich charakteristischerweise in einer Übersetzung des Historischen Romans (1936/37, Kap. IV.2 “Volktümlichkeit und echter Geist der Geschichte”) von Georg Lukács.aus dem Jahre 1980. Nach Kurzpräsentationen in Literaturlexika wurde dieses Musil-Bild abgelöst durch den seit den späten 1980er in China überaus populären Milan Kundera und seine Musil-Lektüren in L’Art du roman, L’Immortalité und Les Testaments trahis (chin. 2003–04). Seither nimmt Musils Werk neben Kafka, Proust, Joyce und Thomas Mann, aber noch vor Italo Svevo einen festen Platz in der chinesischen Übersetzungsliteratur ein – allerdings immer in einem expliziten prekären Konkurrenz-Verhältnis zu den genannten Autoren. 2007 entstand ein überaus aktives Internet-Diskussionsforum zu Musil, nach mehreren ähnlichen, aber kurzlebigen Unternehmungen seit 2001. Ein chinesischer Sammelband mit dem gesamten Nachlass zu Lebzeiten, den Drei Frauen und zahlreichen weiteren Erzählungen, Feuilletons und Essays (2008) und eine Ausgabe des Törless (2009) fanden freundliche Aufnahme. Musil bleibt, auch weil deutsche Sprachkenntnisse nicht sehr verbreitet sind, ein Autor für Spezialisten und einige aficionados.
Musil in China
Chinesische Musil-Bibliografie